Nahrungsergänzungsmittel wie Mineralstoffe und Vitamine sind heutzutage nicht nur ein Trend, sondern auch oft aufgrund eines gewissen Mangels notwendig. Seit einiger Zeit sind allerdings sogenannte Vitalpilz-Präparate im Handel erhältlich und werden mit Gesundheitsversprechen beworben, die aus Schul-medizinischer Sicht häufig nicht nachvollziehbar sind.
Was sind Vitalpilze?
Die Bezeichnung Vitalpilze ist eine Idee des Marketings, die jedoch weder exakt definiert, um welche Art Pilze es sich handelt, noch von rechtlicher Seite her geschützt ist. Mit diese Kennzeichnung werden somit Produkte vermarktet, die Inhaltsstoffe wie beispielsweise zerkleinerte, pulverisierte Pilzextrakte oder Pilze enthalten.
Darunter verstehen sich normalerweise Pilzsarten, die sich, speziell aufgrund des Geschmacks, nicht als Speisepilze verwenden lassen. Die Mehrzahl dieser sogenannten Vitalpilze haben ihren Ursprung innerhalb der TCM (traditionelle chinesische Medizin) oder ayurvedischen Heilkunde. Marketing-Experten legen dieser Art Pilze deshalb mindestens gesundheitliche Wirkungsweisen nahe.
Klassische Vitalpilze der TCM stammen ehemals aus Wildsammlungen, die unter anderem in Japan, China und Korea stattfanden. Die heutigen Pilze werden fast gänzlich in Pilzfarmen kultiviert. Da diese Sorten Pilze sind durch ihre Konsistenz wie auch geschmackliches Aroma (beispielsweise Lackporling, Raupenpilz oder Schmetterlings-Tramete) zur Verwendung in der Küche ungeeignet. Für Anwendungen der TCM, ayurvedischen Heilkunst oder der asiatischen Medizin an sich werden bestimmte Pilze, je nach mediznischer Anwendung, individuell zusammengestellt. Fertig gemischte Produkte, wie die derzeit angebotenen sogenannten Vitalpilze, finden Sie keinesfalls in der asiatischen Heilkunst.
Typische Wirkstoffe der sogenannten Vitalpilze
Wie andere Pilze auch, beinhalten diese Art Vitalpilze reichlich unverdauliche, pilztypische Zuckerarten (beispielsweise Hetero-, Xylo- und Beta-Glykane). Dazu kommen noch häufig kurzkettige Eiweiße und Terpenoide. Manche Pilzarten besitzen spezifische Inhaltsstoffe wie unter anderem der Tibetische/Chinesische Raupenpilz das Cordycepin oder der Schmetterlingsporling beziehungsweise Schmetterlings-Tramete Laccase (Enzym). Ein toxikologisches Profil, aussagekräftige Daten oder systematische Untersuchungen liegen über diese Verbindungen bisher nicht vor.
Marketing für Produkte mit Vitalpilzen ohne Nachweise
Allein die Verwendung von Begriffen wie Heil-, Vital- oder Medizinal-Pilze im Marketing suggerieren Verbrauchern eine therapeutische und präventive Wirkungsweise dieser sogenannten Myko-Therapie (überwiegend Extrakte aus Großpilzen). Zielgruppen, auf die dieses Marketing fokussiert ist, sind hauptsächlich Menschen, die an Krebs erkrankt sind. In der Werbung finden sich zusätzlich Hinweise, dass diese Art Vitalpilze für zahllose Erkrankungen wie unter anderem Rheuma, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Allergien an sich hilfreich sein können. Online finden sich zudem etliche Beiträge und Buchrezensionen, die als redaktionell bezeichnet werden. Des Weiteren werden Wirk- und Heilversprechen ebenfalls über verschiedene soziale Netzwerke mittels spezialisierter Influencer verbreitet.
Neben dem Risiko, dass die Wirksamkeit doch höchst fraglich ist und unbekannte Nebenwirkungen schwere gesundheitlich Schäden verursachen können, sind, laut Verbraucherzentralen in diversen Vitalpilz-Produkten häufig andere Pilze enthalten, als es deklariert wurde. Zudem sind manche Produkte mit Schimmelpilzen verseucht. So ergaben sich beispielsweise nach dem Konsum Shitake-haltiger Produkte allergische Reaktionen.
Wissenschaftliche Studien sind rar
Für die asiatische Heilkunde werden mehr als einhundert Spezies Medizinalpilze verwendet. Prominenteste Vertreter sind Reishi, Schmetterlings-Tramete und Shiitake. Therapeutische Effekte beziehungsweise Wirkungsweisen der sogenannten Vitalpilze, die das Marketing verbreitet, basieren allerdings hauptsächlich auf Tierexperimenten und Zellversuchen.
Zusätzlich liegen lediglich wenige randomisiert-kontrollierte Studienergebnisse (randomized controlled trial) beziehungsweise der Goldstandard des Forschungs-Designs über Menschen vor. Letztere beinhalten beispielsweise die Therapie mit pulverisierten Abalone-/Austern-Seitlingen bei Erkrankung mit Diabetes-Typ-2. Hierbei wurde der Anstieg des Blutzuckers nach der Mahlzeit reduziert. Ähnliche Wirkungsweisen wurden für Präparate dokumentiert, die auf Chagapilzen oder Mandelpilzen basieren. Hierbei handelt es sich allerdings um aussagekräftige Einzelstudien. Die Datenlage der unterschiedlichen Vitalpilze, die vom Marketing beworben werden, ist dagegen höchst ernüchternd.
Studien zu Shitake, Schmetterlings-Tramete und Reishi
Die Schmetterlings-Tramete (Trametes versicolor) dient in der TCM zur Therapie und Behandlung von Lungen-Erkrankungen. Aus dem Pilz wird PSK/Krestin (Polysaccharid-K) gewonnen und speziell in japanischen Labors erforscht. Bereits in den 1970er Jahren wurden mehrere Humanstudien erstellt, in denen die Schmetterlings-Tramete als Ergänzung der Krebstherapie getestet wurde. Inzwischen stehen Meta-Analysen zur Verfügung, die auf Studien mit hunderten Patienten Basieren und positive Effekte als Unterstützung bei Lungen-, Darm- und Magenkrebs zeigen. Aufgrund dieser Daten sieht die Wissenschaft Anlass zur weiteren Forschung. Publikationen von Studien über weitere Indikationen liegen nicht vor.
Übrigens: Die Schmetterlings-Tramete ist im europäische Raum als sogenanntes Novel-Food nicht zugelassen und somit nicht verkehrsfähig.
Reishi – Pilz der Unsterblichkeit
Der Reishi-Pilz ist auch als Glänzender Lackporling bekannt. Von seiner Art existieren etliche Spezies, welche bei der separaten Deklarierung auf den meisten der angebotenen Produkte fehlen. Reishi-Pilze werden bereits seit Minimum 200 Jahren in China als Pilz der Unsterblichkeit bezeichnet und arzneilich unter anderem zur Therapie von Epilepsie und Diabetes, Krebs sowie Herzerkrankungen verwendet. Dazu werden entweder Pilz-Extrakte oder pulverisierter Reishi vermarktet.
Im Rahmen einer 12-wöchigen Studie für Personen, die eine koronare Herzerkrankung aufwiesen, bewirkte die Gabe von Reishi-Extrakt, im Gegensatz zur Gruppe mit Placebo, einen niedrigeren Blutdruck und geringere Triglycerid-Konzentrationen. Für eine Wirkung bei Krebserkrankungen liegen allerdings keinerlei aussagekräftigen, klinischen Dokumentationen vor. Auch für sämtliche anderen beworbenen Indikationen stehen keine Cochrane-Reviews zur Verfügung.
Shiitake als Stärkungs-Tonikum
Shiitake-Pilze werden in der TCM bereits seit etwa dem 14. Jahrhundert verwendet und dokumentiert. Traditionell sind Shiitake-Zubereitungen als sogenanntes Stärkungsmittel (Tonikum) bekannt und werden dort beispielsweise ergänzend zur Krebstherapie genutzt, jedoch ohne wissenschaftlich belegte Nachweise über die erzielte Wirkung. Aus Labor-Daten lässt sich schließen, dass isoliertes Lentinan der Shiitake-Pilze das Immunsystem positiv unterstützt. Zusätzlich lieferten Pilotstudien Erkenntnisse, dass Lentinan unterstützende Wirkung in der Behandlung von Magenkrebs zeigt. Die Aussagekraft dieser Daten ist jedoch bisher fraglich.
Fazit
Im Ganzen betrachtet sind die Studien zu sogenannten Vitalpilzen, wenn es um therapeutische und präventive Wirksamkeit geht sowie deren Risiken keinesfalls aussagekräftig und somit sehr lückenhaft. Der medizinische Grundsatz ‘Zuerst nicht Schaden anrichten’ sollte gerade bei diesen zweifelhaften Produkten berücksichtigt werden.
Des Weiteren sollten Sie den Marketings-Strategien der Herstellen nicht folgen, welche versprechen, dass die TCM oder ayurvedische Heilkunst Pilze oder pflanzliche ‘Wundermittel’ bereithält, die unter anderem bei Krebs und anderen schweren Erkrankungen allein als ‘Naturmedizin’ der klassischen Medizin überlegen ist. Denn beispielsweise in China ist die Sterblichkeit an Krebs relativ hoch. Seit vermehrter Verbreitung der ‘westlichen’ Therapien und Medikamente ist die Lebenserwartung gestiegen (1960 43 Jahre, 2017 76 Jahre, Quelle UN 2017).